[Fanzine-Freitag] Beyond the Firewall

11.10.2024 Lesezeit: 6 Minuten

von Jonas (asri)

Fanzine-Cover, Zeichnung auf dunkellila Grund: Ein Kind mit einer künstlichen Hand hält vor seinem Bauch einen Blumentopf mit einer kleinen Pflanze darin. Das Kind trägt ein Oberteil mit einem Dino-Motiv und guckt misstrauisch oder fragend. Das Bild wird von der Titelschrift überlagert: Beyond the Firewall

Beyond the Firewall (BtFW) entstand zum Fanzine-Wettbewerb 2024 von System Matters. Mit 60 A4-Seiten auf stabilem Papier braucht sich das Zine nicht verstecken (und hätte es auch gar nicht so leicht). ;-)

BtFW ist ein Setting-Hack, der das Fantasy-Rollenspiel Beyond the Wall in das Cyberpunk-Genre portiert. Das BtW-Regelwerk wird zum Spielen benötigt; das Fanzine bietet Charakteroptionen, alternative Magieoptionen (als ESP bezeichnet), Ausrüstung, Cyberware (sozusagen magische Gegenstände) und zwei Szenarien. Gemacht haben es Oelbaumpflanzer (Olli Baunach), Jocke (Dominik Bogedali, DicePuppets) und Carl Apostle (CrlBox).

Mir hat das Zine - mit ein paar Abstrichen - sehr gut gefallen. Die meisten Inhalte überzeugen, allen voran die Charakterbücher. Am wenigstens rund finde ich die Szenarien (mehr dazu unten). Die Ideen passen gut zum gewählten Setting, die Illustrationen finde ich sehr schön und stimmungsvoll. Das Layout ist klar und übersichtlich. Für diejenigen, die Punktwertungen lieben, vergebe ich hier schon mal vier von fünf Cyber-Chips.

Was sind denn die Kleinigkeiten, die bei mir zu Abstrichen führen? (Achtung, Korinthenkackerei folgt!) Ohne besondere Reihenfolge: Es gibt einige wiederkehrende Fehler bei Zeichensetzung und Groß- und Kleinschreibung. An manchen Tabellenüberschriften stehen rechts Icons, ohne dass ich ihren Sinn und das System ihrer Platzierung verstehe. Sprachlich reibe ich mich an manchen Details. "ESP" (extra-sensory perception, außersinnliche Wahrnehmung) als Sammelbegriff für übernatürliche Fähigkeiten, auch wenn sie nichts mit Wahrnehmung zu tun haben - da hätte ich "Psionik", "Cybermagie" oder auch eine Neuschöpfung wie "Zyber" (= Zauber + Cyber) oder Cy-Psi besser gefunden. Ähnlich unbefriedigend finde ich die Verwendung von "Bestiarium" für das Verzeichnis menschlicher & technischer Gegner. Auch an anderen Stellen hätte dem Text ein Lektorat gut getan (wobei mir klar ist, wie schwierig das speziell bei einem Wettbewerbsbeitrag mit einer Deadline sein kann). Zum Beispiel passen manchmal Tabelleneinträge nicht so recht zu den Überschriften, beispielsweise bei den "einschneidenden Erlebnissen" (S. 33): Viele Einträge fokussieren nicht auf ein einschneidendes Erlebnis, sondern nur auf Merkmale, zu denen das eigentliche Erlebnis höchstens angedeutet wird. Das sind Nuancen, auf die ich vielleicht überempfindlich reagiere - daher diese ausführliche Beschreibung, damit andere beurteilen können, was ich meine, und ob es ihnen wichtig oder gleichgültig ist. Beim Lesen möchte ich die Wortwahl eines Textes ernst nehmen können, bin in BtFW aber immer mal wieder gestolpert.

Die beiden Szenarien werden als kurze, lineare Abenteuer vorgestellt. Dabei wird explizit eine "unerfahrenere Spielleitung" als Zielgruppe genannt und vorgeschlagen, die Szenarien parallel zur Charaktererstellung der Spieler*innen vorzubereiten. Im Design finde ich diese Konzeption aber zu wenig umgesetzt. Die beiden Abenteuer brauchen meines Erachtens gute Impro-Fähigkeiten und mehr SL-Vorbereitung, als parallel zur Charaktererschaffung zur Verfügung steht. Sie bestehen aus wenigen Absätzen und Tabellen, die lose verknüpft sind. Im ersten Modul geht es darum, einen Wasseraufbereiter zu beschaffen, im zweiten ist das Ziel unschärfer: Der Aufstieg einer neuen Droge auf dem Drogenmarkt soll verhindert/eingedämmt werden. Showdown ist in der Chemiefabrik, aber ob das Ziel ist, die Produktion dauerhaft zu stören, die Drogendealerbande auszuschalten, oder den Konzern im Hintergrund bloßzustellen, wird nicht so recht deutlich. Zwei W8-Tabellen, die zur Gestaltung des Ausgangsproblem in beiden Szenarien dienen, haben jeweils 6 freie Felder - wohl, damit Orte und NPCs eingebaut werden können, die während der Charaktererschaffung ins Spiel kommen. Allerdings wird das nicht erklärt und auch einer unerfahrenen Spielleitung kein Hinweis gegeben, wie sie das handhaben soll - zumal, wenn die Charaktere noch gar nicht fertig sind. Beide Szenarien lassen dann jeweils Kurzbeschreibungen und Tabellen zu drei Schauplätzen folgen. Die Schauplätze gefallen mir, aber ich hätte mir gewünscht, dass ihnen jeweils konkrete Funktionen in den linearen Abenteuern zugeordnet werden (z.B. entweder Informationsbeschaffung oder Ressourcenbeschaffung), aber die Szenarien lassen das offen, ohne eine SL darauf hinzuweisen, dass sie diese Entscheidung fällen sollte. Als SL würde ich z.B. die Arcade als Schauplatz festlegen für Informationsbeschaffung bezüglich des Ortes, wo der Wasseraufbereiter zu finden ist, welche Gefahr am Zielort wartet, und welche Ressource bei der Überwindung der Gefahr einen Vorteil verschaffen könnte. Auf dem Schrottplatz dürfte dann nach dieser Ressource gesucht werden. Diese Struktur zu bauen ist nicht viel Aufwand, aber für SL mit wenig Erfahrung wäre es hilfreich, das explizit zu machen und die Orte und Tabellen stärker auf diese Struktur hin auszurichten. Bei manchen vagen Formulierungen in den Tabelleneinträgen hätte ich mir konkreten Input gewünscht. Mehrfach laufen Einträge aber nur darauf hinaus, dass die Charaktere unspezifisch "Hinweise erhalten könnten". Die Tabellen setzen damit voraus, dass ich mir die Details ausdenken muss, anstatt ein konkretes Angebot zu machen.

Davon abgesehen, dass die beiden Szenarien meines Erachtens das selbstgesteckte Ziel verfehlen, ein leichter Einstieg für unerfahrenere SL zu sein, liefert BtFW Zutaten für zwei kurze Abenteuer, die zwar fokussierter sein könnten, aber natürlich trotzdem am Spieltisch verwendbar sind. In den beiden Modulen wird auch stärker als in den anderen Abschnitten des Zines deutlich, dass BtFW keinen zynisch-dystopischen Cyberpunk anstrebt, sondern Hopepunk. Auf dem System-Matters-Discord wurde Studio Ghibli als eine Inspiration genannt, und ich finde diese Ausrichtung reizvoll: Die Wasserversorgung im eigenen Viertel zu verbessern oder den Drogenmissbrauch zu bekämpfen, das sind schöne Themen. Weit vorne im Zine ist beschrieben, dass viele Güter und Dienstleistungen (Sprit, Batterien, Verpflegung u.a.m.) nicht mit Währung bezahlt werden, sondern durch Tauschhandel oder dadurch, dass man jemandem einen Gefallen tut. Ideen, diese niedrigschwelligen sozialen Interaktionen und den Wert kleiner Hilfsleistungen und des Für-Einander-Da-Seins ins Rollenspiel einzubauen, kommen insgesamt leider sehr kurz. Aber ich finde den Ansatz schön, die Gemeinschaft im Sprawl zu beschützen und zu pflegen.

Wenn dich diese Blickrichtung auf Cyberpunk interessiert, dann hol dir Beyond the Firewall. Die PDF gibt es unter https://dicepuppets.itch.io/beyond-the-firewall - ob es noch gedruckte Exemplare gibt, weiß ich nicht.

Lizenz: CC BY 4.0


Umfrage zum nächsten Zine

7.09.2024 Lesezeit: 2 Minuten

Liebe pnpde-Community,
es ist wieder so weit. Wir starten ein neues Zine, und diesmal dreht sich alles um Spionage und Bürokratie.

Aber bevor wir loslegen, brauchen wir eure Meinung: Welches Setting soll uns als Grundlage dienen?

Die Settings zur Auswahl:

  • Modernes Setting: Ein Setting in der heutigen Zeit bietet uns viele Möglichkeiten, aber auch Fallen. Zum Beispiel Klischees oder rassistische Darstellungen.
  • Fantasy-Setting: Um uns von modernen Klischees zu befreien, könnten wir das Ganze auch in eine Fantasywelt verlegen.
  • Zweiter Weltkrieg: Ein Setting im Zweiten Weltkrieg bietet uns einen klaren Antagonisten, auf den sich die meisten einigen können – die Nazis.

Die Abstimmung läuft auf unserem Discord.

Umfragen auf Social Media zählen wir als eine Stimme dazu. Wenn ihr also einen Unterschied machen wollt, beteiligt euch an unserer Community!

Wir freuen uns auf eure Meinungen und Stimmen!

Euer STEINBRU.CH-Team


1W10 magische VHS-Kurse (ZZZ-Auszug)

7.09.2024 Lesezeit: 5 Minuten

Auszug aus Codex C, der dritten Ausgabe des Steinbruch-Zines. Ihr bekommt den gedruckten Codex C im Pen-Paper-Dice.de-Shop.

Idee: Jonas (asri)
Autor:innen: Nicrey/Tim, Jonas (asri), René Kremer (Pen Paper Dice), Seba, Nym/Katha

  1. Schutzzauber stricken: In diesem Kurs lernt man, wie man Socken strickt und einen Anti-Stolper Zauber hineinwirkt. Mit dabei sind unter anderem Rupert, ein zausliger Rentner, der noch ein handgemachtes Geschenk für seine Enkelin braucht, Mathilde, die schon beim ersten Treffen mit dem dritten Paar Socken fertig wird und trotzdem die ganze Zeit redet, und Kursleiterin Maya, die für Interessierte auch noch Flüche stricken lehrt (dann natürlich bei ihr daheim und nur unter der Hand).
  2. Golem-Töpferkurs: Mit Lehm, Töpferscheibe und magischem Pergament lernt man hier, wie man sich seinen eigenen kleinen Haushaltshelfer töpfert. Kursleiter Herr Miler (alt, Optimist, sehr höflich) hat am ersten Kurstag vorschnell versprochen, dass jeder Kursteilnehmer am letzten Kurstag mit seinem ersten Küchengolem heimgehen wird. Diesem Versprechen stehen leider die arthritischen Hände von Frau Löwental (sauer auf ihre "unnützen" Finger, hat immer für alle Gebäck dabei, in Herrn Miler verliebt) sowie die Zwillinge Ava und Manon (energiegeladene 10-Jährige, versuchen dauernd ihre Golems dazu zu bringen, einander zu vermöbeln) im Weg.
  3. Zauberhafte Stadtrundgänge: Kursleiterin Helga Olschlager (klein, rundlich, Energiebündel) bietet jeden dritten Sonntag (außer bei schlechtem Wetter) Rundgänge zu den besonders magischen Orten der Stadt an. Von der tausendjährigen Eiche im Stadtpark bis zum alten Marktplatz, auf dem früher Hexenverbrennungen stattfanden, ist alles dabei. Auch immer dabei ist Otfried Müller, der sich einen Spaß daraus macht, es überall ein bisschen spuken zu lassen und damit die anderen Teilnehmer zu erschrecken.
  4. Anti-Technik-Kurs: Mit vom Kursleiter Zornbrecht Becker (klein, haarig, wütend) eigens für diesen sehr teuren Kurs hergestellten Zauberstäben können die Teilnehmer Feuerbälle auf allerlei technische Geräte - zum Beispiel Computer, Kaffee-Vollautomaten oder Mobiltelefone - schießen. Immer dabei ist Jens Vorwerk, CEO eines renommierten IT-Security-Unternehmens.
  5. Mara Weiden ist noch nicht in Rente, wurde aber trotzdem von ihren Enkeln zum "Magieauffrischungskurs für Senioren" geschickt, da sie sich ständig über die gerappten Ritualzauber beschwert. Der Kurs bietet nämlich neben einem generellen Auffrischer in Sachen Magie und Regeln auch eine Einführung in neue Trends des Zaubern. Mit dabei sind Rolf und Udo, ein älteres Ehepaar, die direkt nach dem entsprechenden Treffen das Dämonenbeschwören via Smartphonebatterie ausprobieren und dabei eine jugendliche Freude an den Tag legen.
  6. Im Workshop "Einfach mal Entzaubern" geht es um die Rückkehr zum Leben ohne Magie und die Entspannung, die damit einhergeht. Hier berichten die Teilnehmer:innen, welchen Alltagsaktivitäten sie ganz ohne Magie nachgegangen sind, vom Abwasch bis zur Nutzung nicht-magischer Verkehrsmittel. Kursleiterin Diana, die schon seit Jahren fast amagisch lebt, bietet außerdem ein dreiwöchiges Entzauberungscamp an.
  7. Aurora Romano (talentiert, schüchtern, zierlich) leitet "Die Magie der Musik". In diesem Workshop lernen die Teilnehmenden von der Virtuosin nicht nur das zu ihnen passende Instrument zu finden, sondern auch eine Alternative zu ihren Zauberstäben mit der umstrittenen Notenmagie und vielleicht sogar ein neues Lieblingshobby.
  8. In "Große Macht und Große Verantwortung" lehrt Joshua Messing (zittrig, hoffnungsvoll, eiserner Blick) die Auswirkungen mächtigerer Magie. Die Kursteilnehmenden bereisen mit ihm verschiedene Orte, wo die Nebeneffekte des Einsatzes von Magie in der Umwelt spürbar wurden. Er zeigt ihnen ausgetrocknete Flüsse, tote Wälder, selbstbewusste Städte und seine persönliche Scham: Ein Dorf voller lebendiger Menschenskelette, die ihn freundlich grüßen. Mit Ernst und Inbrunst vermittelt Joshua, dass der Einsatz von Magie immer einen Tribut fordert. Wer etwas nimmt, muss etwas geben.
  9. Frau Dr. Auhammer (rundlich, muskulös, hält sich für poetisch) bietet "Basteln und Batik - Bewegte Beschwörungen" an. Im Kurs werden mit Papier, Schere und Klebstoff einerseits, mit Stoffen und Textilfarben andererseits magische Artefakte gestaltet, die sich bewegen. Die Papierbrieftauben sind ein beliebter Klassiker. Bislang eher experimentell sind die Batiken, die Kleidungsstücke bequemer, wärmer oder kühler machen sollen. Dr. Auhammer ist verärgert über Herbert Gwanz, der versucht, Papiergreifvögel zu basteln, die Briefe abfangen, und neidisch auf Elfriede Kleins Batikmuster, deren langsame Tänze auf den Stoffen unbestreitbar am schönsten sind.
  10. Holleri cadabra, hollera du sala bim! In Erwin-Michael "Ermi" Schnackleders Jodelkurs lernen die Teilnehmenden, die hohen Worte der Macht fehlerfrei und mit der nötigen Inbrunst zu intonieren. ("Zwerchfell!", ruft Ermi immer.) Jasmin Lehmann, Ömer Kemal und Sibylle Weiß wohnen in verschiedenen Mietblöcken in derselben Straße und üben jeden Abend das Gelernte auf ihren Balkons.

Lizenz: CC BY 4.0