von Jonas (asri)
"Dunkle Ernte" ist ein OSR-Schauplatz von René Kremer und nahm auch am Fanzine-Wettbewerb von System Matters teil. Die 24 Seiten (plus 4, also genaugenommen 28 Seiten) in hochwertigem Layout mit Illustrationen von Kim Holm sehen allesamt gut aus.
Spoiler folgen!
Der besagte Schauplatz ist die "Manege des Manischen Lachens", ein Zirkus, dem angeblich Tod und Verderben folgen. Das Zirkusgeschäft ist der Deckmantel eines Kults um die Dämonin Epidemos, die immer neue Krankheiten und Seuchen entwickelt. Das schauplatzbasierte Abenteuer stellt Body Horror und verschiedene ekelige Themen ins Zentrum (und macht dies auch direkt zu Beginn in einer treffenden Inhaltswarnung deutlich - sehr gut!). Wegen der Themen würde ich den Schauplatz wahrscheinlich nicht selbst am Spieltisch verwenden, als Lektüre fand ich das Zine aber unterhaltsam und interessant. Es ist stimmungsvoll geschrieben. Besonders hervorheben möchte ich die "Momente", eine Liste kleiner Details, die die Atmosphäre des Schauplatzes unterstützen.
Vom inhaltlichen Design her scheint mir die Dunkle Ernte allerdings nicht in jeder Hinsicht rund: Manche Abschnitte sind wenig aufeinander abgestimmt. Beispielsweise wirkt es auf mich so, als könnte Abenteuereinstieg 5 dazu führen, dass eine Spielrunde am Schwerpunkt des Zines (Konfrontation mit Epidemos) "vorbeispielt". Möglichkeiten, die Hintergrundgeschichten zu Epidemos und Heinrich Zeiß am Spieltisch einzubauen, sind nicht offensichtlich. Dasselbe gilt für den Garten der Sünden. Die Infos zur Begegnung mit Epidemos im Pestlabor konzentrieren sich auf ihre Kampftaktik. Das ist schade angesichts des Aufwands, der vorn im Heft bei der Hintergrundgeschichte und der Beschreibung von Epidemos' Qual und Erlösung betrieben wird. Mein Eindruck ist, dass vorn mögliche Ausgänge des Abenteuers angedeutet werden, die hinten in der Schauplatzbeschreibung verpuffen und auch im "Abschluss des Abenteuers" nicht mehr mitbedacht sind.
Eine SL, die Epidemos' Sohn Kasimir (von höchster Bedeutung für die Dämonin und auf den ersten Seiten des Zines mehrfach genannt) irgendwie im Spiel thematisieren möchte, wird allein gelassen. Ebenso fehlt mir eine Hilfestellung, die ambivalente, gequälte Seite der Dämonin am Spieltisch einzuflechten. Die Komplexität der Figur ist damit am Tisch schwer nutzbar.
Das ist natürlich kein Problem, wenn man eine Spielrunde hat, für die der Kampf gegen Epidemos ohnehin die wahrscheinliche oder bevorzugte Herangehensweise ist. In dem Fall kann man die ersten Seiten des Zines einfach als zusätzliches Material verbuchen. Innerhalb des Schauplatzes, den Dunkle Ernte beschreibt, ist es nur schwer verwendbar, kann aber vielleicht genutzt werden, sollte Epidemos als wiederkehrende Figur eingesetzt werden.
Wer ihren Hintergrund aber gern direkt innerhalb dieses Moduls einflechten möchte, findet vielleicht im folgenden eine Anregung: Eine mögliche Idee wäre es, einen Kultisten einzubauen, dessen Vertrauen die SC gewinnen können und den sie vielleicht gar überreden könnten, ihnen zu helfen und sich von den "Sprösslingen des Eiterbaums" loszusagen. Oder den SC fallen anderweitig vertrauliche Informationen in die Hände, die etwas über Epidemos verraten (ein Brief, ein belauschtes Gespräch zwischen Pestlingen)? Spielleitungen, die die ersten vier Seiten des Zines irgendwie an den Tisch bringen wollen, müssen jedenfalls selbst Arbeit investieren.
Von dieser Kritik abgesehen verfolgt Dunkle Ernte zielstrebig und atmosphärisch die gesetzten Themen (Krankheit, Ekel). Das Zine ist übersichtlich und vorbildlich gestaltet.
Dunkle Ernte gibt es im Shop von Pen-Paper-Dice.de.
von Jonas (asri)
Mit dem Fanzine Klassenbuch – Magie Klasse 7C nahm Julia Glas alias Fay die Fee am System-Matters-Wettbewerb 2024 teil. Auf 20 Seiten im A5-Format widmet sich das Zine einer Schule als Setting im Urban Fantasy Genre.
Der Großteil des Klassenbuchs besteht aus Zufallstabellen wie einem Schulgenerator und einem Lehrkraftgenerator. Die Einträge sind knapp und unterhaltsam. Stärker ausgearbeitet sind die 1W6 Plot-Ideen, bei denen ich teilweise allerdings Schwierigkeiten hätte, sie im am Spieltisch einzusetzen, weil nicht immer klar ist, was genau die Charaktere in diesem Plot tun sollen. Gut gefällt mir aber, dass zu allen Plot-Ideen ergänzende Überlegungen hinzugefügt sind, die ihnen einen neuen Dreh geben.
Einige Tippfehler erschweren die Lektüre, weil sie zum Teil auch den Sinn entstellen (z.B. „Andern“ statt „Adern“, „Geißel“ statt „Geisel“). Überall schimmern Humor und Verspieltheit durch und vermitteln das Gefühl, dass die Autorin Spaß beim Schreiben hatte. Die Ideen wirken zwar manchmal ungefiltert, dadurch aber auch frisch und reizvoll.
Die Seiten sind durchgängig mit einer Pflanzenranke verziert, die auch als Papierstreifen (Lesezeichen) beigefügt ist. Ein paar kleine Bilder lockern die Seiten zusätzlich auf. Anders als bei Fanzines der 1980er und 1990er sind die Seiten nicht vollgestopft und durch den Rahmen zusätzlich eingeengt, sondern angenehm luftig gestaltet. Das Layout ist übersichtlich. Lediglich im Werwesen-Generator hätte die Zweiteilung (6W6 Arten von Werwesen, 3W6 Schwächen) besser hervorgehoben werden können. Die Illustrationen in diesen Tabellen (Wer-Piranha und Wer-Pinguin) finde ich übrigens sehr nett.
Das Zine wurde in drei Farbvarianten produziert (mit rotem, grünem oder blauem Cover), die Inhalte sind jeweils gleich. Statt Klammerheftung sind die Blätter mit einer hübschen Schnur zusammengebunden.
Die PDF gibt es im Ko-Fi Shop von Fay die Fee; für gedruckte Restexemplare müsst ihr Fay/Julia direkt fragen.
von Jonas (asri)
"Das OSR-Magazin mit Kante", so nennt Gazer Press seine Zeitschrift, deren erste Ausgabe im April 2024 erschien. Der österreichische Verlag wurde 2021 in Wien gegründet und veröffentlicht OSR-Abenteuer, die anstatt klassischer Fantasywelten in historisierten mitteleuropäischen Settings angesiedelt sind. Das gilt auch für den Gazer No. 1, der sich am 17. Jahrhundert orientiert und Material für Spielgruppen bietet, deren Charaktere unterwegs durch Gegenden reisen, die unter dem 30-jährigen Krieg leiden. Das Zine enthält hauptsächlich Zufallstabellen (z.B. "Unterwegs auf den Straßen des Reichs" und einen Gasthaus-Generator) sowie einen Hexcrawl namens "Der Weg nach Krakstadt". Es ist in übersichtlichem, zweispaltigen Layout gehalten und mit schwarz-weißen Illustrationen aufgelockert. Spielwerte für old-schoolige Rollenspiele wie Swords & Wizardry stehen in senkrechten Zeilen am Rand.
Die in der Selbstbeschreibung des Magazins (S. 3) angesprochenen "Essays zu Themen rund ums Rollenspiel und Hintergrundwissen über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges" bleiben äußerst dünn. Geboten wird eine Doppelseite zu "Reisen im 17. Jahrhundert", die zwar gut zum Rest des Heftes passt, aber überwiegend Allgemeinheiten enthält: "Im Gebirge vertraut man auf trittsichere Maulesel, wer es sich leisten kann, lässt sich in unwegsamen Gelände in einer Sänfte tragen." Spannender hätte ich es gefunden, beispielsweise mehr Details über die Wasserroute(n) zwischen Nordsee und Mittelmeer zu erfahren. Als Ergänzung ist außerdem ein kurzer Auszug aus dem Reisebericht des William Crowne beigegeben, der 1636 Thomas Howard, den Earl of Arundel, auf seiner Gesandtschaft begleitete.
Die stimmungsvollen Einträge der Zufallstabellen zielen fast durchweg auf eine bedrückende, vom Krieg gezeichnete Not, mit bizarren Einschlägen. Elegant sind ein einzelne Anknüpfungspunkte an andere Produkte von Gazer Press eingeflochten (Baphomet, Bruckstadt).
Gestört hat mich Eintrag Nr. 2 auf S. 22, der eine direkte Linie von selbstverletzendem Verhalten zu Gewalt gegen andere zieht. Wohlwollend gelesen ginge die Bedrohung von einem blutrünstigen Messer aus, nicht von einem Menschen, der unter Wahnvorstellungen leidet. Letztlich liegt der Fokus aber auf der Person und ihren Handlungen. Der Eintrag dämonisiert somit psychisch Kranke, was ich problematisch finde. Unnötig ist es obendrein.
Der Hexcrawl ist gut aufbereitet und wie die Tabellen reich an Ideen. Es gibt dazu einen Spielbericht im Tanelorn: Der Weg nach Krakstadt.
Mir fehlt ein wenig Abwechslung - wenn jeder Landstrich gleichermaßen zerrüttet und jede Begegnung auf (Religions)krieg gemünzt ist, dann droht es eintönig zu werden. Ich habe das Gefühl vermisst, durch wenig bekannte historische Details überrascht und inspiriert zu werden. Mein Eindruck ist, dass hier ein relativ schlichtes Bild vom 30-jährigen Krieg als Folie eines düsteren, dystopischen Settings herhalten muss. Wer dieses Flair mag, wird bestens bedient - wer aber breitere Inspirationen zum "17. Jahrhundert als Spielwelt" (S. 3) erhofft - auch, wenn man sich auf Zeit des 30-jährigen Kriegs beschränkt - bekommt wenig geboten. Ich vermute, es gäbe weitere Facetten, die sich lohnen würden und die an historische Figuren (Philipp Hainhofer, Matthäus Merian, Anna Maria von Schürmann) und Tatsachen angelehnt sein könnten (z.B. die nicht unbedingt grimmig-düsteren Aspekte der Militärlogistik, die durch Marketender*innen geleistet wurden, oder die improvisierten Backöfen eines Söldners wie Peter Hagendorf). Historische Atmosphäre (mit okkult-bizarrer Tönung) könnte gut durch Losbücher oder Himmelsbriefe unterstützt werden. Leute, die sich intensiver mit dieser Epoche befassen, würden sicher noch weitere Ideen haben.
Markus Schauta und seine Mitstreiter planen, weitere Ausgaben des Zines unregelmäßig herauszubringen. Ich werde danach Ausschau halten und bin gespannt, wie der Gazer sich entwickeln wird.
Der Gazer No. 1 (PDF + Print) im Webshop für 8,80€ plus Versand