von Jonas (asri)
Beyond the Firewall (BtFW) entstand zum Fanzine-Wettbewerb 2024 von System Matters. Mit 60 A4-Seiten auf stabilem Papier braucht sich das Zine nicht verstecken (und hätte es auch gar nicht so leicht). ;-)
BtFW ist ein Setting-Hack, der das Fantasy-Rollenspiel Beyond the Wall in das Cyberpunk-Genre portiert. Das BtW-Regelwerk wird zum Spielen benötigt; das Fanzine bietet Charakteroptionen, alternative Magieoptionen (als ESP bezeichnet), Ausrüstung, Cyberware (sozusagen magische Gegenstände) und zwei Szenarien. Gemacht haben es Oelbaumpflanzer (Olli Baunach), Jocke (Dominik Bogedali, DicePuppets) und Carl Apostle (CrlBox).
Mir hat das Zine - mit ein paar Abstrichen - sehr gut gefallen. Die meisten Inhalte überzeugen, allen voran die Charakterbücher. Am wenigstens rund finde ich die Szenarien (mehr dazu unten). Die Ideen passen gut zum gewählten Setting, die Illustrationen finde ich sehr schön und stimmungsvoll. Das Layout ist klar und übersichtlich. Für diejenigen, die Punktwertungen lieben, vergebe ich hier schon mal vier von fünf Cyber-Chips.
Was sind denn die Kleinigkeiten, die bei mir zu Abstrichen führen? (Achtung, Korinthenkackerei folgt!) Ohne besondere Reihenfolge: Es gibt einige wiederkehrende Fehler bei Zeichensetzung und Groß- und Kleinschreibung. An manchen Tabellenüberschriften stehen rechts Icons, ohne dass ich ihren Sinn und das System ihrer Platzierung verstehe. Sprachlich reibe ich mich an manchen Details. "ESP" (extra-sensory perception, außersinnliche Wahrnehmung) als Sammelbegriff für übernatürliche Fähigkeiten, auch wenn sie nichts mit Wahrnehmung zu tun haben - da hätte ich "Psionik", "Cybermagie" oder auch eine Neuschöpfung wie "Zyber" (= Zauber + Cyber) oder Cy-Psi besser gefunden. Ähnlich unbefriedigend finde ich die Verwendung von "Bestiarium" für das Verzeichnis menschlicher & technischer Gegner. Auch an anderen Stellen hätte dem Text ein Lektorat gut getan (wobei mir klar ist, wie schwierig das speziell bei einem Wettbewerbsbeitrag mit einer Deadline sein kann). Zum Beispiel passen manchmal Tabelleneinträge nicht so recht zu den Überschriften, beispielsweise bei den "einschneidenden Erlebnissen" (S. 33): Viele Einträge fokussieren nicht auf ein einschneidendes Erlebnis, sondern nur auf Merkmale, zu denen das eigentliche Erlebnis höchstens angedeutet wird. Das sind Nuancen, auf die ich vielleicht überempfindlich reagiere - daher diese ausführliche Beschreibung, damit andere beurteilen können, was ich meine, und ob es ihnen wichtig oder gleichgültig ist. Beim Lesen möchte ich die Wortwahl eines Textes ernst nehmen können, bin in BtFW aber immer mal wieder gestolpert.
Die beiden Szenarien werden als kurze, lineare Abenteuer vorgestellt. Dabei wird explizit eine "unerfahrenere Spielleitung" als Zielgruppe genannt und vorgeschlagen, die Szenarien parallel zur Charaktererstellung der Spieler*innen vorzubereiten. Im Design finde ich diese Konzeption aber zu wenig umgesetzt. Die beiden Abenteuer brauchen meines Erachtens gute Impro-Fähigkeiten und mehr SL-Vorbereitung, als parallel zur Charaktererschaffung zur Verfügung steht. Sie bestehen aus wenigen Absätzen und Tabellen, die lose verknüpft sind. Im ersten Modul geht es darum, einen Wasseraufbereiter zu beschaffen, im zweiten ist das Ziel unschärfer: Der Aufstieg einer neuen Droge auf dem Drogenmarkt soll verhindert/eingedämmt werden. Showdown ist in der Chemiefabrik, aber ob das Ziel ist, die Produktion dauerhaft zu stören, die Drogendealerbande auszuschalten, oder den Konzern im Hintergrund bloßzustellen, wird nicht so recht deutlich. Zwei W8-Tabellen, die zur Gestaltung des Ausgangsproblem in beiden Szenarien dienen, haben jeweils 6 freie Felder - wohl, damit Orte und NPCs eingebaut werden können, die während der Charaktererschaffung ins Spiel kommen. Allerdings wird das nicht erklärt und auch einer unerfahrenen Spielleitung kein Hinweis gegeben, wie sie das handhaben soll - zumal, wenn die Charaktere noch gar nicht fertig sind. Beide Szenarien lassen dann jeweils Kurzbeschreibungen und Tabellen zu drei Schauplätzen folgen. Die Schauplätze gefallen mir, aber ich hätte mir gewünscht, dass ihnen jeweils konkrete Funktionen in den linearen Abenteuern zugeordnet werden (z.B. entweder Informationsbeschaffung oder Ressourcenbeschaffung), aber die Szenarien lassen das offen, ohne eine SL darauf hinzuweisen, dass sie diese Entscheidung fällen sollte. Als SL würde ich z.B. die Arcade als Schauplatz festlegen für Informationsbeschaffung bezüglich des Ortes, wo der Wasseraufbereiter zu finden ist, welche Gefahr am Zielort wartet, und welche Ressource bei der Überwindung der Gefahr einen Vorteil verschaffen könnte. Auf dem Schrottplatz dürfte dann nach dieser Ressource gesucht werden. Diese Struktur zu bauen ist nicht viel Aufwand, aber für SL mit wenig Erfahrung wäre es hilfreich, das explizit zu machen und die Orte und Tabellen stärker auf diese Struktur hin auszurichten. Bei manchen vagen Formulierungen in den Tabelleneinträgen hätte ich mir konkreten Input gewünscht. Mehrfach laufen Einträge aber nur darauf hinaus, dass die Charaktere unspezifisch "Hinweise erhalten könnten". Die Tabellen setzen damit voraus, dass ich mir die Details ausdenken muss, anstatt ein konkretes Angebot zu machen.
Davon abgesehen, dass die beiden Szenarien meines Erachtens das selbstgesteckte Ziel verfehlen, ein leichter Einstieg für unerfahrenere SL zu sein, liefert BtFW Zutaten für zwei kurze Abenteuer, die zwar fokussierter sein könnten, aber natürlich trotzdem am Spieltisch verwendbar sind. In den beiden Modulen wird auch stärker als in den anderen Abschnitten des Zines deutlich, dass BtFW keinen zynisch-dystopischen Cyberpunk anstrebt, sondern Hopepunk. Auf dem System-Matters-Discord wurde Studio Ghibli als eine Inspiration genannt, und ich finde diese Ausrichtung reizvoll: Die Wasserversorgung im eigenen Viertel zu verbessern oder den Drogenmissbrauch zu bekämpfen, das sind schöne Themen. Weit vorne im Zine ist beschrieben, dass viele Güter und Dienstleistungen (Sprit, Batterien, Verpflegung u.a.m.) nicht mit Währung bezahlt werden, sondern durch Tauschhandel oder dadurch, dass man jemandem einen Gefallen tut. Ideen, diese niedrigschwelligen sozialen Interaktionen und den Wert kleiner Hilfsleistungen und des Für-Einander-Da-Seins ins Rollenspiel einzubauen, kommen insgesamt leider sehr kurz. Aber ich finde den Ansatz schön, die Gemeinschaft im Sprawl zu beschützen und zu pflegen.
Wenn dich diese Blickrichtung auf Cyberpunk interessiert, dann hol dir Beyond the Firewall. Die PDF gibt es unter https://dicepuppets.itch.io/beyond-the-firewall - ob es noch gedruckte Exemplare gibt, weiß ich nicht.
Lizenz: CC BY 4.0