OSR und Erzählrollenspiele: Eine persönliche Betrachtung

12.12.2023 Lesezeit: 6 Minuten

Diese Woche habe ich endlich die neue 3W6-Folge zum Thema OSR und Erzählspiele mit Moritz gehört. Markus äußerte, vermutlich aus Höflichkeit, Interesse an meiner Meinung. Das Thema hat mich dann aber doch, deutlich mehr als gedacht, beschäftigt und zu einigen Überlegungen angeregt. Schon vorab war mir klar, dass Moritz' Herangehensweise an OSR-Spiele sich von meiner unterscheidet. Doch selbst nach der Folge fällt es mir schwer, die Differenzen genau zu benennen.

Unsere unterschiedlichen Prägungen sind nicht von der Hand zu weisen. Moritz wuchs mit D&D auf, während ich in meinen Zwanzigern erstmals Kontakt mit Call of Cthulhu hatte. Später stieß ich auf Beyond the Wall – mein erstes OSR-Spiel und der Beginn meiner Rollenspielpodcast-Sucht. Nahezu kindlich stürzte ich mich in diesen Kaninchenbau, in dem ich noch immer herumirre und nach dem Ausgang suche. Nachdem ich Erzählrollenspiele kennengelernt hatte, entdeckte ich dann auch Into the Odd, später Mausritter und Cairn. Heute, nachdem ich hunderte Rollenspiele und unzählige Artikel gelesen und ziemlich alles an Podcasts zu dem Thema verschlungen habe, verstehe ich aber noch immer nicht den wesentlichen Unterschied zwischen OSR- und Erzählrollenspielen, abgesehen vom Regelkern.

Moritz hat seinen Spielstil erläutert. Aber wie sieht es bei mir aus?

Eine Bestandsaufnahme:

  • Klare übersichtliche Regeln: Ich bevorzuge einfache und klare Rollenspielsysteme. Komplizierte Sonderregeln sind nichts für mich. Bei Bedarf wird eine Situation schnell geregelt.
  • Vorhersehbare Konsequenzen für Handlungen: Ein Würfelwurf sollte nicht die Geschichte ausbremsen. Proben sollten nicht unnötig zu Misserfolgen führen, wenn etwas eigentlich klappen sollte.
  • Flexibilität innerhalb eines Rahmens: Strukturierte Rahmen wie ein Dungeon schätze ich, bin aber offen für Anpassungen, um das Spiel spannender oder verrückter zu gestalten. Ich begrüße auch spontane innerweltliche Setzungen durch die Spieler*innen.
  • Kreativität statt Regelkonformität: Gute Ideen sollten direkt umgesetzt werden, ohne lästige Proben. Kreative Vorschläge sind willkommen. Nur bei scheinbar Unmöglichem halte ich Proben für nötig. Unmögliches möchte ich zumindest mit einem Glückswurf ermöglichen.
  • Fokus auf die Geschichte: Im Zentrum stehen für mich die Charaktere und ihre sich entwickelnde Geschichte, nicht stundenlange Metadiskussionen, Planungen und Shoppingtouren.
  • Intentionen und Ziele: Ich möchte verstehen, wohin meine Spieler*innen in der Geschichte wollen, um sie entsprechend anzupassen.
  • Flexibilität statt Erfolgsabstufungen: Ich lehne es ab, durch Erfolgsabstufungen eines Regelwerks eingeengt zu werden. Ein "Ja oder Nein, aber" kann ich auch ohne vorgegebenes Ergebnis, und zwar dann, wenn es der Geschichte dient, integrieren.

Meine Vorlieben in der Vielfalt der Systeme sind geprägt von Einfachheit, Konsequenzen und kreativer Freiheit. Letztlich geht es mir darum, gemeinsam mit der Gruppe Geschichten zu erleben, die sich zufällig und frei von unnötigen Regelbeschränkungen entwickeln. Der Rahmen gibt mir lediglich Sicherheit, damit es nicht vollständig eskaliert. Ich habe zwar immer gescherzt, Rollenspiel verhält sich zu OSR wie Musik zu Metal, und die Unterscheidung zwischen OSR und NSR sei nur ein Running Gag, aber vielleicht lag ich falsch. Vielleicht macht es Sinn, einen Begriff zur Abgrenzung zu nutzen?

Um diese Frage zu klären, las ich heute wieder sämtliche NSR-Artikel1-5 und hörte diverse Interviews6-9.

Aber was soll ich sagen, es ist und bleibt kompliziert. Ich kann die Frage leider noch immer nicht, für mich zufriedenstellend beantworten. Was ich jedoch zu begreifen meine, ist, dass OSR-Spiele, um beim alten Begriff zu bleiben, unglaublich flexibel sind. Man kann sie nach Moritz' Art spielen oder mit einem erzählerischen Ansatz. Dem System ist das gleich. Das Ergebnis wird ähnlich sein. Der eine Weg führt nach links, der andere nach rechts, aber beide erreichen das Ziel, und eigentlich ist es auch egal.

Wichtig ist nur, dass euch die Rollenspielpolizei abholt, wenn ihr falsch Spaß habt.

In diesem Sinne, ein gutes Jahresende und auf ein neues Jahr, in dem euch ein weiterer Erguss von mir erspart bleibt. Michael

1 What is the New School Revolution? Part 1 - 19. Jänner 2020
2 The Why Of Cairn - 1. Dezember 2020
3 Revisiting the NSR - 4. Mai 2022
4 The New New School Revolution - 4. Mai 2022
5 New School Revolution - 19. Dezember 2019
6 The Redcaps - Yochai Gal & Cairn
7 Into the Odd: Yochai Gal
8 Hobo's Collective - Yochai Gal
9 Hobo's Collective - NSR with Yochai Gal