von Jonas (asri)
"Das OSR-Magazin mit Kante", so nennt Gazer Press seine Zeitschrift, deren erste Ausgabe im April 2024 erschien. Der österreichische Verlag wurde 2021 in Wien gegründet und veröffentlicht OSR-Abenteuer, die anstatt klassischer Fantasywelten in historisierten mitteleuropäischen Settings angesiedelt sind. Das gilt auch für den Gazer No. 1, der sich am 17. Jahrhundert orientiert und Material für Spielgruppen bietet, deren Charaktere unterwegs durch Gegenden reisen, die unter dem 30-jährigen Krieg leiden. Das Zine enthält hauptsächlich Zufallstabellen (z.B. "Unterwegs auf den Straßen des Reichs" und einen Gasthaus-Generator) sowie einen Hexcrawl namens "Der Weg nach Krakstadt". Es ist in übersichtlichem, zweispaltigen Layout gehalten und mit schwarz-weißen Illustrationen aufgelockert. Spielwerte für old-schoolige Rollenspiele wie Swords & Wizardry stehen in senkrechten Zeilen am Rand.
Die in der Selbstbeschreibung des Magazins (S. 3) angesprochenen "Essays zu Themen rund ums Rollenspiel und Hintergrundwissen über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges" bleiben äußerst dünn. Geboten wird eine Doppelseite zu "Reisen im 17. Jahrhundert", die zwar gut zum Rest des Heftes passt, aber überwiegend Allgemeinheiten enthält: "Im Gebirge vertraut man auf trittsichere Maulesel, wer es sich leisten kann, lässt sich in unwegsamen Gelände in einer Sänfte tragen." Spannender hätte ich es gefunden, beispielsweise mehr Details über die Wasserroute(n) zwischen Nordsee und Mittelmeer zu erfahren. Als Ergänzung ist außerdem ein kurzer Auszug aus dem Reisebericht des William Crowne beigegeben, der 1636 Thomas Howard, den Earl of Arundel, auf seiner Gesandtschaft begleitete.
Die stimmungsvollen Einträge der Zufallstabellen zielen fast durchweg auf eine bedrückende, vom Krieg gezeichnete Not, mit bizarren Einschlägen. Elegant sind ein einzelne Anknüpfungspunkte an andere Produkte von Gazer Press eingeflochten (Baphomet, Bruckstadt).
Gestört hat mich Eintrag Nr. 2 auf S. 22, der eine direkte Linie von selbstverletzendem Verhalten zu Gewalt gegen andere zieht. Wohlwollend gelesen ginge die Bedrohung von einem blutrünstigen Messer aus, nicht von einem Menschen, der unter Wahnvorstellungen leidet. Letztlich liegt der Fokus aber auf der Person und ihren Handlungen. Der Eintrag dämonisiert somit psychisch Kranke, was ich problematisch finde. Unnötig ist es obendrein.
Der Hexcrawl ist gut aufbereitet und wie die Tabellen reich an Ideen. Es gibt dazu einen Spielbericht im Tanelorn: Der Weg nach Krakstadt.
Mir fehlt ein wenig Abwechslung - wenn jeder Landstrich gleichermaßen zerrüttet und jede Begegnung auf (Religions)krieg gemünzt ist, dann droht es eintönig zu werden. Ich habe das Gefühl vermisst, durch wenig bekannte historische Details überrascht und inspiriert zu werden. Mein Eindruck ist, dass hier ein relativ schlichtes Bild vom 30-jährigen Krieg als Folie eines düsteren, dystopischen Settings herhalten muss. Wer dieses Flair mag, wird bestens bedient - wer aber breitere Inspirationen zum "17. Jahrhundert als Spielwelt" (S. 3) erhofft - auch, wenn man sich auf Zeit des 30-jährigen Kriegs beschränkt - bekommt wenig geboten. Ich vermute, es gäbe weitere Facetten, die sich lohnen würden und die an historische Figuren (Philipp Hainhofer, Matthäus Merian, Anna Maria von Schürmann) und Tatsachen angelehnt sein könnten (z.B. die nicht unbedingt grimmig-düsteren Aspekte der Militärlogistik, die durch Marketender*innen geleistet wurden, oder die improvisierten Backöfen eines Söldners wie Peter Hagendorf). Historische Atmosphäre (mit okkult-bizarrer Tönung) könnte gut durch Losbücher oder Himmelsbriefe unterstützt werden. Leute, die sich intensiver mit dieser Epoche befassen, würden sicher noch weitere Ideen haben.
Markus Schauta und seine Mitstreiter planen, weitere Ausgaben des Zines unregelmäßig herauszubringen. Ich werde danach Ausschau halten und bin gespannt, wie der Gazer sich entwickeln wird.
Der Gazer No. 1 (PDF + Print) im Webshop für 8,80€ plus Versand
von Jonas (asri)
Grenzland 3, die dritte Ausgabe des OSR-Zines der Grenzland-Spielerschaft, hat sich den Untertitel "Worse Things happen at Sea" gegeben und widmet sich den Meeren. Das Layout ist insgesamt eher schlicht gehalten. Das Zine kommt mit englischen und deutschen Beiträgen daher: Ein Unterwasser-Dungeon für hochstufige Charaktere, eine NPC-Klasse, ein Spielbericht, Regeln für die Fortbewegung mit Segelschiffen und ein Piratenabenteuer.
Das Zine startet mit einem sympathischen Editorial, das den Charme alter Rollenspielfanzines lobt, in denen Inserate, mehr oder weniger professionelle Werbeanzeigen und Leserbriefe zeigen, wie Informationsaustausch und Diskussion stattfanden, bevor das Internet zu seinem Siegeszug ansetzte. Diese Zine-Kultur dürfte (wenn die Zines gepflegt behandelt und vielleicht gar in öffentlichen Archiven aufbewahrt werden) auch noch in Jahrzehnten greif- und lesbar sein. Unser rein elektronischer Austausch z.B. aus Discord-Servern dürfte sehr viel schneller im Orkus des Vergessens verschwinden. Das kann man finden, wie man will, aber wie Laurens kann auch ich mich schwer dem Flair dieser alten Zines entziehen, die nicht nur zur Veröffentlichung eigener Ideen, Abenteuer und Charakterklassen dienten, sondern auch als Kommunikationsplattform aus Papier.
The Crown of Neptune von Alex Schröder, ursprünglich ein One-Page-Dungeon, wird hier auf zwei Doppelseiten präsentiert. Schön, mal wieder ein handgelettertes Abenteuer zu sehen, auch wenn es in puncto Leserlichkeit und Übersichtlichkeit nicht an die alten Ravenhorst-Sachen von D.G.Didi herankommt. Der Schwarz-Weiß-Druck in Zine wirkt so, als sei die Vorlage farbig gewesen. Leider ist nicht immer auf den ersten Blick klar, auf welchen Bereich sich die Notizen auf der Karte jeweils beziehen. Mir gefallen die Fremdartigkeit und Weirdness in den tieferen Räumen. Die besonderen Schätze (also abgesehen von den üblichen Münzen oder Juwelen) sind auch reizvoll.
The Anointed of Abyssal Slaughter von Gottfried Neuner behandelt zunächst einen Zustand, der SCs wiederfahren könnte, und der sie nach gewisser Zeit in einen NSC verwandelt - ein Monster oder Gegnertyp, aber stärker in eine Kultur eingebettet. Der Artikel ist gut geschrieben, die Eigenschaften und Quests für die NSC-Klasse sind stimmungsvoll gewählt.
Den kurzen Spielbericht "Schiffbruch" fand ich weniger interessant. Er vermittelt zwar verständlich die Ereignisse einer Spielrunde, aber ich hatte ein bisschen mehr Ideen erhofft, die man übernehmen könnte. Überzeugend finde ich dagegen die Regeln für Segelschiffe, von Laurens Kils-Hütten gehackt aus einem älteren Brettspiel.
Ebenfalls von Laurens ist schließlich das Szenario Eingekerkert. Es hätte meines Erachtens mehr Lektorat verdient. Spoiler folgen. Das Szenario startet mit dem Klischee "ihr findet euch in Gefängniszellen wieder", gefangen von Piraten, und endet mit einem Kraken. Dazwischen ist ein bisschen Spielraum, der in einem Flowchart schematisch dargestellt ist. Zwischen einigen Szenen/ Orten hätten Pfeile in beide Richtungen laufen können, aber das ist ja kein großes Problem. Abgesehen davon, dass eine forcierte Gefängnissituation nicht unbedingt für Begeisterung unter den Spieler*innen sorgt, wirken die vorangestellten "1W6 Gründe eingekerkert zu sein" etwas angetackert. Die SL wird damit alleingelassen, diese Hintergründe auszugestalten; im Verlauf des Abenteuers spielen sie keine Rolle. Auch sonst wurde nicht über innerweltliche Logik nachgedacht: Es gibt einen Koch, aber weder Küche noch Kochstelle; es gibt Gänge und Treppen, die auf mich beliebig wirken (warum wurde das so gebaut?). Die SL sollte in diesem Bereichen das Pacing hoch halten oder das Dungeon einfach abwandeln, falls ihre Spieler*innen auf solche Dinge achten. Die Piraten bleiben überwiegend blass, obwohl bei einer Wache und bei dem Schiffsjungen Möglichkeiten für Kooperation angelegt sind. Bis auf den Schiffsjungen bleiben alle NSC namenlos und wirken primär wie Kampfgegner. Wenn die SCs Besitztümer aus früheren Abenteuern hatten, versäumt der Text, zu sagen, wo sie die Sachen wiederfinden könnten, wenn sie aus den Zellen entkommen. Dabei dürfte das für viele Spieler*innen eine interessante und motivierende Angelegenheit sein, ihre Habseligkeiten von einzelnen Piraten zurückzugewinnen oder im Quartier der Wächter oder der Schatzkammer danach zu suchen.
Die Präsentation der Informationen im Text finde ich unbefriedigend - viel Fließtext, wo Stichpunkte für eine SL viel übersichtlicher wären. Außerdem wird für meinen Geschmack zuviel Text darauf verwendet, mich an die gängigen Piraten-Tropes zu erinnern. Aber für Klischees, die wir alle aus den Ärmeln schütteln können, les ich kein Szenario - da möchte ich Vorschläge bekommen, die die abgestandenen Ideen auflockern und einzelnen Begegnungen und Szenen neuen Pepp verleihen. Auch bei den Schätzen hätte ich mir konkrete Vorschläge gewünscht anstelle eines allgemeinen "zu jeweils 10% haben Waffen und Schilde magische Eigenschaften". Was für magische Eigenschaften? Die Main Gauche könnte Gegner in eine Ziege verwandeln, ein Schild könnte dem Gegenüber das Bild seiner enttäuschten Mutter vorhalten. Der Großteil des Szenarios besteht aus einem Piratenlager/Dungeon und einem angrenzenden Höhlensystem, dass die Piraten noch nicht bemerkt haben. Dieses Höhlensystem ist aus meiner Sicht der Teil des Abenteuers, der am brauchbarsten ist.
Wenn die SCs nicht unterwegs sterben, werden sie am Ende vom Kraken angegriffen. Sollten sie zuvor das Piratenschiff unter ihre Kontrolle gebracht haben (wozu das Szenario keinerlei hilfreiche Infos bereit hält), dann können sie nach der Begegnung mit diesem Octopodus ex machina durchnässt am Strand einer unbekannten Insel erwachen. In allen anderen Fällen überlässt das Szenario wiederum der SL die Verantwortung, zu entscheiden, ob der Kraken übermächtig ist und alle SC sterben, oder ob das Abenteuer für sie irgendwie weitergehen könnte. Da wünsche ich mir von einem Szenario etwas Konkretes - abwandeln kann ich es dann immer noch, aber wenigstens hab ich ein Angebot bekommen. In dieser Hinsicht bietet Eingekerkert für meinen Geschmack insgesamt zu wenig.
Die Nummer 3 schließt mit der Ankündigung der nächsten Spieltermine der Grenzland-Community sowie einem Ausblick auf die Nummer 4, deren Schwerpunkt "Domain Games" sein soll.
Die PDF des Grenzland-Zines gibt es kostenlos unter https://lkh.sdf-eu.org/wandererbill/grenzland/
von Jonas (asri)
Flaschenschiff - Rum und Schrecken bildet den Auftakt zu einem mehrteiligen Piratenabenteuer für Pirate Borg. Text, Illustrationen und Layout sind sämtlich von Sumire (pen-and-pinsel.de), die ein stimmungsvolles Gesamtergebnis abliefert.
Ausgangssituation ist, dass die Charaktere der Spielgruppe dem hinterhältigen Steuermann hinterherwollen, der ihren Kapitän an den Galgen gebracht und sich mit Schiff und Beute davongemacht hat. Das einzige Schiff, das für die Spielgruppe in Frage kommt, gehört dem hiesigen Rumbaron, dessen Handlanger Ramon eine Crew sucht, die mit dem Schiff einen Auftrag für den Baron erledigen soll. Da es sich um den Auftakt eines längeren Abenteuers handelt, bietet "Flaschenschiff" zunächst den Hafenort Tiburon mit einigen NSCs und diversen Möglichkeiten, Ramon zu beeindrucken, damit er ihnen Schiff und Auftrag gibt. Der Autorin gelingt es, auf wenigen Seiten eine verfluchte Kapelle, von untoten Tieren heimgesuchte Zuckerplantagen und einen alten Tempel unterzubringen. Gespickt ist das Ganze mit schwarz-weißen Illustrationen und Karten. Vorgestellte Fraktionen und NSCs sind darauf angelegt, im weiteren Verlauf des Abenteuers noch eine Rolle zu spielen, dürften dafür aber noch etwas mehr ausgestaltet werden. Mehrere Zufallstabellen füllen die inneren Umschlagseiten - viel Input für eine Spielrunde, ohne überladen zu wirken.
Was ich mir noch gewünscht hätte, wäre eine knappe Charakterisierung von Ramon, der als zentraler NSC dieses Abenteuerauftakts leider völlig blass bleibt. In ein oder zwei Räumen des Tempels hätte ich einen Verweis auf die Tabelle mit Zufallsfunden besser gefunden als "sonst ist hier nix" (Raum 8). Und ich habe einen Moment gebraucht, um den Grundriss des Tempels mit der wirklich schicken isometrischen Darstellung zusammenzubringen. Wenn der Grundriss um 180° gedreht wäre und/oder die Raumnummern in die isometrische Ansicht integriert wären, wäre es mir leichter gefallen.
Das ist aber selbstverständlich Klagen auf hohem Niveau. Mir hat das Flaschenschiff gut gefallen und ich werde mich ins Krähennest setzen und Ausschau halten, wann der nächste Teil des Abenteuers in Sicht kommt.