von Jonas (asri)
Der Titel des Fanzines Adjunkt. Professor Mühlmerders Magazin für viktorianische Ermittlungen verrät nicht wirklich, dass es eine Beschreibung des Wiener Praters zum Ende des 19. Jahrhunderts bietet, zur Nutzung für das viktorianische Detektivrollenspiel Private Eye. Die Beschreibung hebt das unternehmerische internationale Flair dieses Parks und Vergnügungsbereiches hervor und lädt mit einer handvoll knapper Abenteuerideen dazu ein, den Prater im Rollenspiel zu verwenden. Der Text ist systemneutral und mit zeitgenössischen Bildern und Karten illustriert. Unklar bleibt, ob die Texte von Martin "Magedu" Dürr, Moritz "glgnfz" Mehlem, oder von beiden zu ähnlichen Anteilen stammen. Beide sind summarisch für 'Autorenschaft, Redaktion, Satz und Lektorat" angegeben. Meine Vermutung ist, dass Martin Dürr Hauptautor ist.
Allerdings bekomme ich den Eindruck, dass die Macher entweder kein ganz klares Ziel vor Augen hatten oder es nicht gut rüberbringen: Wenn im Editorial nicht "Private Eye" stünde, dann wäre diese Zielsetzung im Zine kaum erkennbar, weil die Hinweise bezüglich einer konkreten Umsetzung am Spieltisch so zurückhaltend sind. Wenn andererseits angestrebt wurde, das Material möglichst systemunabhängig zu halten, damit es auch für andere Rollenspiele nutzbar wird, dann sollte das irgendwo (Titel, Editorial, oder auch in begleitenden Infos online (quasi "Werbetext") deutlicher gesagt werden. Der Adjunkt kann meines Erachtens problemlos auch als Inspiration für andere Rollenspielrunden dienen, deren Settings städtisches Flair um 1900 beinhalten (können), z.B. Finsterland, Call of Cthulhu oder Electric Bastionland.
Das Zine ist schlicht und übersichtlich gehalten. Neben den Bildnachweisen hätte ich noch Quellenangaben oder Empfehlungen für historische Ressourcen interessant gefunden - jedenfalls habe ich nach dem Lesen den Eindruck, dass Martin sich in das Thema eingearbeitet hat und daher ein paar Quellen leicht hätte nennen können.
Auch, wenn man nicht Private Eye spielt, ist der knappe historische Einblick in den Wiener Prater interessant zu lesen. Vier von fünf Riesenradgondeln!
Der Adjunkt ist über den System-Matters-Fanzinewettbewerb 2024 verteilt worden - ob es noch weitere gedruckte Exemplare gibt oder eine PDF-Ausgabe geplant ist, weiß ich nicht. Unter private-eye.at gibt es Infos zum Adjunkt, auf der Seite gibt es eine Kontaktadresse zu Martin Dürr.
von Jonas (asri)
Die beiden Abenteuer (das Gefängnis der Wurmkönigin und Über den Tod hinaus) sind meines Erachtens die interessantesten Inhalte dieser "Gazette" für Electric Bastionland. Beide zeigen auf je eigene Weise schön die Seltsamkeit und Surrealität des Settings. Den Zeitdruck (Risiko von Rückschlägen je nach in-game-Zeitbedarf) im zweiten Abenteuer finde ich persönlich etwas mühselig; am Spieltisch würde mir das keinen Spaß machen. Die Dreibar finde ich als Location reizvoll.
Die Karte zum Bezirk "Bleichdrozze" enthält einige schöne Komplikationen, aber soviele Orte (Knotenpunkte im Verbindungsnetz), dass es mich ein bisschen abschreckt (sowohl als Spieler als auch als SL). Dazu bräuchte ich am Spieltisch erstmal etwas Infodump, um Entscheidungen zu ermöglichen, und die Infos müsste ich mir als SL ausdenken, da sie nicht mitgeliefert werden. Den Bezirk würde ich also eher als Ideensteinbruch verwenden; und dann ist für mich natürlich das Kartenformat vergebene Liebesmüh. Die gescheiterte Karriere "Mausritter*in" ist niedlich. Das Interview mit Chris McDowall fand ich ein bisschen langweilig (und ich lese Interviews eigentlich sehr gern), weil es sich vor allem mit Electric Bastionland befasst und die Person leider in den Hintergrund tritt.
Außerdem fand ich, dass das Zine mehr Tippfehler und kleinere Layoutlapsus aufweist, als ich von System Matters erwartet hätte. Ich hatte beim Lesen den Gedanken, dass das Vier-Augen-Prinzip doch noch was hätte bringen können. (Michael Masberg hat nicht nur übersetzt und getextet, sondern auch Redaktion und Lektorat übernommen.) Das sind aber nur kleinere kosmetische Dinge, die die Nutzbarkeit nicht gefährden.
von Jonas (asri)
Skægarslund von Christopher Bünte (https://woohoomania.com/) entstand zum Fanzine-Wettbewerb von System Matters 2024. Obwohl es äußerlich angenehm aufpoliert ist, wirkt es auf mich unfertig. Vielleicht kam die Deadline für Einreichungen zu rasch? Das Fanzine beschreibt ein Dorf in einer Fantasy-Wikingerkultur: Wie die Siedlung in der Welt gelegen ist, ihre Geschichte und politisch-rechtliche Ordnung, Religion, Kleidung, Architektur, wichtige Orte und Persönlichkeiten sind ausgearbeitet. Unklar bleibt mir, wie Pferde und Schafe (für die erwähnte Kleidung aus Schafwolle) in einer Landschaft ernährt werden, die "mehr als die Hälfte des Jahres mit Schnee und Eis bedeckt" ist. Gravierender finde ich aber, dass das Zine keinen Grund mitliefert, es an den Spieltisch zu bringen. Mir fehlen markante Abenteueraufhänger, die das ausgearbeitete Material begründen. Deswegen wirkt Skægarslund auf mich so, als wäre es nicht fertig geworden, denn die vorhandenen 12 Seiten sind sorgfältig gearbeitet. Auch die Karte auf der Rückseite ist hübsch, wenn auch die Rasterung am Rand (von A-L und von 1-18) feiner granuliert ist als nötig.
Skægarslund macht mich neugierig darauf, was Christopher Bünte sonst noch so produziert, aber das Fanzine selbst bewerte ich nur mit zweieinhalb von fünf Drachenbooten.